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An der Rosenlay

 

An der Rosenlay

Thomas Böker - Aufzeichnungen in den achziger Jahren

Wenn ich meine Wanderungen durch den Kamper Hang über den Hauserweg begann, war meine erste Station mit regelmäßigem Aufenthalten, nachdem ich mich ausgiebig im Hohen Stock umgesehen hatte, ein Kirschfeld am Fuße der Rosenlay.
Die Rosenlay ist ein felsiges Gelände zwischen dem Büderich und dem Mäuschesberq,das an seinem unteren Rand, ganz nahe beim Hauserweg,- steil -abfällt Wegen dieses kurzen, schroffen Abfalls trägt es vermutlich die Bezeichnung Lay. Woher der erste Teil des Namens kommt, ist mir rätselhaft. Ich glaube nicht, daß in der Rosenlay besonders viele wilde Rosen wachsen.
Vielleicht rührt der Name von einer Begebenheit her, die sich in
der Flur zugetragen hat. Der Namensgeber war sicherlich jemand, der im Hang arbeitete vielleicht eine einfallsreiche Winzerin oder ihre phantasievolle Tochter.
Der Hauserweg ist in Höhe des Kirschfelds, etwa 100 m über dem
Meeresspiegel und etwa 30 m über dem Rhein, noch nicht sehr steil. Weiter oben wird es stellenweise mühselig, ihn zu gehen. Ich weiß, wie froh ich immer war, wenn ich die Hundsangel hinter mir und damit das felsige, steinige und rutschige Wegstück um das Bild des Sankt Anton überwunden hatte.


Das Kirschfeld lieqt schätzunqsweise 70 m vom Beginn des Hauserwegs entfernt. Es wird hangaufwärts von dem Felsabsturz der Rosenlay begrenzt.

Hier ist ein und im Nachbarfeld ein zweiter Stollen In den Fels gehauen. Diese kurzen Stollen oder Keller, wie sie auch genannt werden, wurden von den Wein- und Obstbauern, soweit ich weiß, zur Lagerung von Werkzeugen und
anderen Geräten sowie als Unterstand verwendet. Später, als die Felder brachlagen oder nur noch sehr mäßig genutzt wurden, verloren sie ihre Funktion und waren, als geheimnisvolle Höhlen Spielplatz für Kinder.


In dem Feld stehen mehrere Süßkirschen. Vermutlich sind es
durchweg Geiße Piddersch (benannt nach dem Ka:mper Züchter Peter Geiß), das habe ich dummerweise nicht genau beobachtet. Ausserdem
stehen dort zwei Schattenmorellen und einige von den erfrischend
saftigen Diemitzern. Der Boden des Kirschfelds ist dort, wo er -
von viel Schieferschotter durchssetzt und bedeckt wird, mit niedrigem Gestrüpp der Bereiften Brombeere bewachsen. Dort, wo der Lehmboden weniger steinig ist, überwiegen hochwüchsige Gräser: Glatthafer, Wiesen-Riesengras und Zwenke.
Das Grundstück wird vorzüglich, nämlich extensiv, gepflegt. Es
ist eines der wenigen, die im Hang überhaupt noch gepflegt
werden. Extensiv heißt in der Sprache des Naturschutzes und der Landschaftspflege mit naturverträglichen Methoden vorgehen, ohne übermäßiqe Bodenbearbeitunq und ohne den Einsatz von Bioziden,
also Pflanzen- und Insektengiften. In einem extensiv genutzten
Feld ist die Zahl der Pflanzen- und Tierarten weitaus höher als in einem intensiv genutzten Feld.
Vom dem Kirschfeld aus hat man eine sehr schöne Sicht auf das
Unterdorf mit der St.-Nikolaus-Kirche und das interessante Dach
des alten Pfarrhauses neben der romanischen Kirche (Foto). Im
April ist diese Sicht ganz besonders schön. Man schaut zwischen den
blühenden Süß- und Sauerkirschenbäumen hindurch blickt kurz den schnell ziehenden Wolken am blauen Himmel nach und riecht die Biüten, das junge Gras und den schweren Geruch des noch winterfeuchten Lehmbodens.

Der Hauserweg teilt das Kirschfeld in einen größeren
hangaufwärts und einen schmalen, unterhalb des Wegs gelegenen
Abschnitt. Der sich hangaufwärts erstreckende Teil wird von
einer Trockenmauer am Rand des Hauserweges gestützt.
Trockenmauern durchziehen und terrassieren den ganzen Hang. Einst stützten sie die Weinberge, dann die Obstfelder. Heute stürzen sie zunehmend ein. Sie wurden mit Schieterbruchsteinen, die man wohl in den drei Kamper Steinbrüchen gebrochen hat, unverfugt gesetzt. Es gibt sie in den verschiedensten Größen.
Ich fand übermannshohe Trockenmauern und solche, die nur bis zur Mitte des Unterschenkels reichen. Die größeren sind in der Regel, wenn ich das an einstürzenden Mauern richtig beobachtet habe, mehr als einen Meter tief. Sie sollen den Hang ja auch am Abrutschen hindern. In den Ritzen, Fugen und Hohlräumen der Trockenmauern ruht, jagt und versteckt sich eine Vielzahl von
Tieren. Asseln, Pseudoskorpione, Weberknechte, Spinnen, Wanzen,
Käfer, Ameisen, Raupen, Eidechsen, Schlangen finden hier alles oder fast alles, was sie zum Leben brauchen.


Wie alt sind die Trockenmauern? Ich nehme an, daß sie nicht
immer wieder neu errichtet, sondern im Laufe der Zeit, wenn sie
schadhaft zu werden drohten ausgebessert wurden. Sollte das
richtig sein, so könnten manche ihrer Teile schon Jahrhunderte
alt sein. Die letzten Arbeiten an Trockenmauern werden im Kamper
Hang in den fünfziger, vielleicht auch noch in den sechziger
Jahren durchgeführt worden sein. Leider liegen fast alle Obstfelder seitdem brach, weil der Obstanbau unrentabel wurde.
Das bedeutete zugleich den Beginn des Verfalls der
Trockenmauern. Erstaunlich ist jedoch wie stabil sie sind.
Viele widerstehen bis heute dem Schub des Hangs ohne
einzustürzen.
Die Trockenmauer an der Rosenlay beginnt am unteren Rand des
Kirschfelds etwa 50 cm hoch und wächst bis zu seinem oberen Rand
kontinuierlich auf Mannshöhe an. Etwas oberhalb ihrer Mitte
findet sich ein schräg wegabwärts in die Mauer eingebauter
treppenartiger Aufstieg zum höhergelegenen Teil des Kirschfelds. Bis zu diesem Treppchen ist die Trockenmauer
ungewöhnlich dicht mit Pflanzen bewachsen. Neben einer Flechten- und Moosdecke, die diesen Mauerabschnitt fast ganz überzieht, wachsen dort auch überaus viele Samenpflanzen. Die Flechten und
Moose habe ich leider nicht bestimmt sodaß ich keine Namen
nennen kann. Häufig an der Mauer vorkommende Arten sind die Wald-Erdbeere, das weiße Labkraut, das
Mausohr (auch Feldsalat, Rapunzel oder Rapünzchen genannt), der
Rundblättrige Storchschnabel und das Zymbelkraut. Sogar
Brennessel, Johanniskraut, Saat-Mohn und Weiße Taubnessel
wachsen vereinzelt neben etlichen anderen Samenpflanzen an
dieser Trockenmauer. Ein typisches Mauergewächs ist nur das
Zymbelkraut. Mausohr und Rundblättriger Storchschnabel
besiedeln diesen Lebensraum hier und da. Alle andere Arten sind
für Mauern völlig untypisch. Außer Flechten, Moosen und
Samenpflanzen fand ich an der Mauer je ein Exemplar zweier
Farnarten, des schwarzen und des Braunstieligen Streifenfarns
Auf der Mauer wächst an ihrem unteren Ende schließlich
eine wenige Zentimeter hohe rötlichblühende Pflanze, der Ackergauchheil
Er gehört zu den Primelgewächsen und ist mit der Schlüsselblume verwandt.

An dem Felsabsturz der Rosenlay fand ich in drei bis vier Metern
Höhe den seltenen Blauen Gauchheil, der dem Roten Gauchheil qanz
ähnlich sieht. Sein Vorkommen an Felsen ist in Deutschland nicht
der Normalfall. Er wächst hier typischerweise in Getreideäckern,
zum Beispiel zusammen mit dem Klatsch-Mohn. Im Mittelmeerqebiet
wäre ein felsiqer oder ähnlich trockener Standort jedoch nicht
untypisch für den Blauen Gauchheil. Vielleicht ist dies ein
kleiner Hinweis auf die Verwandschaft der mittelrheinischen mit
der mediterranen Vegetation. Nicht weit vom Blauen Gauchheil
wächst eine andere hauptsächlich mediterran verbreitete
Pflanzenart, der ebenfalls seltene Schriftfarn. Er ist an Felsen und Mauern qebunden. Ich fand ihn übrigens auch an der Trockenmauer in der Pumpengasse.

 

Smaragdeidechsen

Wenn ich mich dem Kirschfeld näherte, verlangsamte ich meinen
Schritt, um die Smaragdeidechsen, die es bewohnen, besser
beobachten zu können. Manchmal fand ich eines der Tiere gleich
am Anfanq der Mauer, manchmal aber auch erst an ihrem hohen
oberen Ende. Hier, wie in der gesamten wegaufwärts des
Treppchens stehenden Hälfte der Mauer, sitzen die Steine so
dicht, daß die Eidechsen kaum Verstecke finden. Nur am Mauerfuß
sind einiqe Lücken, worin sie bei Gefahr verschwinden können.

Meistens traf ich die Tiere jedoch kurz unterhalb des Treppchens
an, wo zwei Basaltplatten, wie sie zum Einfassen von Gräbern
verwendet werden, auf der Mauer liegen. Hier sonnen sie sich
gerne auf Moospolstern, Steinen oder eben auf den Basaltplatten
Einmal konnte ich an dieser Stelle der Mauer sogar ein
Tier in seiner Höhle sehen. Ich nehme an, daß im Innern
dieser, wie vieler anderer Trockenmauern, ein verzweigtes System
solcher Höhlen besteht,  indem sich die Smaragdeidechsen
wohl fühlen. Die Entstehung dieser Höhlensysteme hängt, falls sie
existeren, vermutlich vom Alter der Mauern oder Mauerteile, von
Schieferart und Form der Bruchsteine und davon ab, wie dicht die
Steine qesetzt wurden. Vielleicht helfen auch die Eidechsen mit,
indem sie Verbindunqen graben.

An der Mauer und in ihrer nächsten Umgebung fand ich gewöhnlich
erwachsene Weibchen und Männchen. Halbwüchsige und Jungtiere
beobachtete ich dort selten. Die Trockenmauer ist allem Anschein
nach der Mittelpunkt des Lebensraums der Tiere in dem
Kirschfeld. Sie können sich hier verstecken, ruhen und
ungünstige Zeiten überdauern, wie den Winter oder
Trockenperioden im Sommer, finden Nahrung und wahrscheinlich
auch ausreichend stark besonnte stellen, an denen sie ihre Eier
ablegen können.

An einem mäßig warmen Spätsommertag Ende August 1986, an dem es
bis weit in den Nachmittag hinein regnerisch und der Himmel fast
dauernd bedeckt war und ein kräftiger Wind wehte, fand ich kurz
nach sechs Uhr abends, als schließlich doch die Sonne schien,
auf Höhe des Treppchens, wenige Zentimeter oberhalb der Mauer,
zehn, vielleicht waren es auch elf, Jungtiere der Smaragdeidechse.
Sie lagen auf etwa einem Quadratmeter nahe beisammen und schossen bei
Bewegungen von mir jedesmal ein kleines Stück davon. Ich vermute, daß sie alle an diesem Tag,
sozusagen synchron, geschlüpft sind. Eine andere Erklärung
dafür, daß so viele junge Smaragdeidechsen auf einem Fleck
beieinander lagen, finde ich nicht. Ich habe auch nie wieder
eine derartige Beobachtung gemacht.

Halbwüchsige und Jungtiere traf ich auf meinen Kontrollgängen
durch das Kirschfeld, meistens in dem niedrigen Brombeergestrüpp
an, das einen Teil der Fläche oberhalb der Trockenmauer bedeckt.
In aller Regel krochen sie, ich nehme an jagend, ziemlich hurtig
durch die Vegetation. Manchmal sonnten sie sich aber auch auf
einem Häufchen Mähguts, das an einer bei schönem Wetter fast den
ganzen Tag über von der Sonne beschienenen Stelle auf dem
Brombeergestrüpp lag.
An der Trockenmauer und in dem niedrigen Brombeergestrüpp
hielten sich die Smaragdeidechsen, nach meinen Beobachtungen, am
häufigsten auf. Manchmal suchte eine der Eidechsen Schutz vor
mir, unter einem etwa anderthalb Meter hohen Brombeerbusch neben
dem niedrigen Brombeergestrüpp, nachdem sie sich auf dem
Schieferschotter des fast vegetationslosen Nachbarfelds, das
hier seine Grenze haben müßte, gesonnt. hatte. Wenn ich mich
richtig erinnere, war es so gut wie immer ein erwachsenes Tier.
Ob auch immer dasselbe, konnte ich nicht feststellen. Selten
fand ich die Eidechsen in der grasig-krautigen Vegetation am Fuß
der Trockenmauer und in dem der Mauer gegenüberliegenden Bereichen
des Kirschfelds. Ich denke aber, daß sie sich hier öfter
aufhielten, als ich beobachten konnte, da sie unter dieser
hochwüchsigen und dichten Pflanzendecke schwer auszumachen sind.
Wahrscheinlich jagen sie den hier lebenden Massen von Insekten
und Spinnen hinterher. Dafür bietet ihnen diese Art
Pflanzendecke wohl auch, wie Trockenmauer und niedriges
Brombeergestrüpp, ausreichenden Schutz vor Feinden.
Außer der Smaragdeidechse bewohnen das Kirschfeld und besonders
die Trockenmauer noch andere Reptilienarten. Von der
Mauereidechse, die für Felsen, Trockenmauern und steiniges
Gelände in warmen Gegenden typisch ist, fand ich alle
Altersgruppen auf der Fläche. Auch Blindschleiche und
Schlingnatter konnte ich hier beobachten. Die für den Menschen
völlig harmlose Schlingnatter wird manchmal mit der Kreuzotter
verwechselt und totgeschlagen, was auch bei der Kreuzotter ein
übertriebenes Verhalten wäre. Die Verwechslung unterläuft den
Menschen vielleicht wegen der Zeichnung ihres Rückens, die, bei
oberflächlicher Betrachtung vermutlich für ein Zickzackband,
wie es die Kreuzotter trägt, gehalten wird. Im Kamper Hang kommt
die Kreuzotter aber, wie am gesamten Mittelrhein, nicht vor. Es
ist noch nicht einmal wahrscheinlich, daß sie in Rheinland-Pfalz
lebt. Am ehesten wäre dies in Mooren der Eifel möglich.
schließlich fand ich an der Rosenlay zwei Tierarten,
Ringelnatter und Erdkröte, die eigentlich zu den Arten der
Feuchtgebiete gestellt werden. Beide machen außerhalb ihrer
Fortpflanzungszeit jedoch weite Wanderungen, die sie auch in
Trockengebiete, wie den Kamper Hang, führen.

Im Kesselstein

Geht man durch die Hohl zur Himmelswiese, so kommt man im ersten
Drittel der Strecke am Kesselstein vorbei.
Den Namen Kesselstein fanden die alten Kamper für eine Flur, die
in ihrem Norden durch einen Felsvorsprung, wohl dem eigentlichen
Kesselstein, begrenzt wird und sich von dort bis zur nächsten
ehemals obst- und weinbaulich genutzten, unterhalb des Wegs
gelegenen Flur, dem Steileberg, scharf hohlspiegelartig krümmt.
Die Hohl, also der Weg, macht dort, wo der Steileberg beginnt,
eine Kurve mit scharfer Richtungsänderung. In Kamp, vielleicht
auch anderswo an Mittelrhein und Mosel, nennt man eine derartige
Kurve "Umkehr" . .
Fast durchweg wegbegleitend sind beiderseits der Hohl bis kurz
vor den ehemaligen Schuttplatz, zwei Komplexe aus mehreren
Trockenmauern, von denen zumindest die am oberen linken Wegrand
stehenden teilweise übermannshoch sind. Rechts schließen die
Mauerkronen mit dem Weg ab. Diese Mauern stehen also unter dem
Weg und stützen ihn. Sie werden von Bäumen, Sträuchern und
Gestrüpp so stark bedeckt, daß ich sie mir nie genau angesehen
habe. Im Kesselstein werden die Trockenmauern am linken Wegrand
stellenweise ebenfalls von unterhalb des Weges stehenden Bäumen
stärker beschattet.
Vom Pfählsberg her fließt ein Bach unmittelbar entlang des
felsigen Teils der Flur.

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Thomas Böker

​verstarb am 12. Juli 2012 mit 53 Jahren

nach langer schwerer Krankheit.

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